Im März 2022 veröffentlichte das House of Logistics and Mobility (HOLM) GmbH den ÖPNV-Trendfahrplan.
Dieser besteht aus acht Megatrends, die für die ÖPNV-Branche identifiziert wurden, und 57 spezifischen Ausprägungen, so genannte Makrotrends, die den Megatrends zugeordnet werden konnten.
Alle acht Megatrends und jeweils zwei zugeordnete Makrotrends werden hier näher erläutert. Ausgewählt wurden dabei diejenigen Trends, zu denen in jüngerer Zeit im HOLM gearbeitet wurde und bei denen auf weiterführende Inhalte und Projekte hingewiesen werden kann.
Der Trendfahrplan 2022 ist das Ergebnis aller Aktivitäten des ÖPNV-Labs aus dem Jahr 2021, bei denen wegweisende Zukunftsthemen zunächst sondiert und anschließend mithilfe einer Kampagne auf der digitalen Innovationsplattform des HOLM sowie der Datenbanken der strategischen Innovationsberatung TRENDONE GmbH überprüft wurden.
Globale Erwärmung und Klimawandel – Politik, Gesellschaft und jeder Einzelne müssen handeln. Daran bestehen keinerlei Zweifel. Eine Strategie der Europäischen Union (EU) heißt „European Green Deal“. Mit ihr wird das Ziel verfolgt, Treibhausgasemissionen der EU bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Ausstoß von 1990 zu reduzieren und für Europa bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Große Veränderungen sind nicht auch, sondern vor allem im Mobilitätssektor erforderlich, denn es ist der Verkehr, der einen enormen Anteil am klimaschädlichen Treibhausgasausstoß hat.
Die Trendlinie „Sustainability“ bündelt Herausforderungen und Technologien, die auf eine nachhaltige Mobilität der Zukunft einzahlen.
Um Mobilität nachhaltiger zu gestalten, um ihre Verfügbarkeit, ihren Komfort und ihre Attraktivität zu erhöhen, sind technischer Fortschritt und neue innovative Lösungen entscheidende Faktoren. Sicher ist: Die Art der Fortbewegung wird sich verändern.
Die Trendlinie „Future Mobility“ zeigt viele Veränderungen auf: bei den Verkehrsmitteln und ihrer unmittelbaren Umgebung.
Städte wachsen, Städte rücken näher zusammen, Ballungszentren und Metropolregionen entstehen, ländliche Regionen werden urbaner gestaltet und ausgestattet. Die Verteilung und der Aufbau von Siedlungsstrukturen bestimmen die Notwendigkeit von Ortsveränderungen: Sind Siedlungen im Speckgürtel bereits gut an das urbane Zentrum einer Metropolregion angebunden, so fehlt es in der Regel zunehmend an Verbindungen zwischen neueren oder wachsenden Siedlungen untereinander. Lücken, die geschlossen werden müssen.
Diese und andere spezifische Ausformungen dieser Entwicklungen werden in der Trendlinie „Urbanisation“ adressiert.
Durch neue Lebensumgebungen, neue gesellschaftliche Entwicklungen und durch Faktoren wie den demografischen Wandel oder Migrationsbewegungen entstehen neue gesellschaftliche und individuelle Bedürfnisse.
Die Trendlinie „Social Shift“ nimmt diese Entwicklungen und ihre konkreten Auswirkungen in den Blick.
Arbeit verändert sich – das gilt sowohl für das „Wie“ als auch für das „Wo“ wir arbeiten werden. Veränderungen bei unserem Mobilitätsbedarf sind eine logische Folge. Der Bedarf wird nicht pauschal wachsen oder pauschal weniger werden, aber er wird sich verändern. Zeitpunkte und Frequenz sind im Wandel, genauso wie Fahrtzwecke und Entfernungen. Aber nicht nur unser Mobilitätsbedarf, sondern eine Vielzahl alltäglicher Randbedingungen sind von diesem Wandel betroffen.
Die Trendlinie „New Work“ zielt auf diese Entwicklungen ab.
Neue digitale Medien und Plattformen verändern die Art und Weise, wie wir mit der virtuellen Welt interagieren. Wie wird diese virtuelle Welt für uns gestaltet, wie finden wir uns in ihr zurecht, welche Spuren sind wir bereit zu hinterlassen und welche Erwartungen stellen wir an digitale Angebote?
Die Trendlinie „Digital Interaction“ beschäftigt sich mit Anforderungen an uns als Nutzende und mit den Anforderungen, die wir an die Anbieter adressieren.
Die weltweit produzierte Datenmenge wächst exponentiell, ein Ende der Zunahme ist nicht absehbar. Daten werden wichtiger, werden zur Währung und sind schon heute Grundlage für Geschäftsmodelle und künftige Geschäftsentwicklungen. Auf das Individuum heruntergebrochen heißt das: Unser digitaler Fußabdruck wächst von Tag zu Tag, von Anwendung zu Anwendung und von Klick zu Klick.
Die spezifischen Ausformungen dieses Trends werden in der Linie „Data Era“ behandelt.
Wie ist in Zukunft die Infrastruktur ausgestattet und wir kommunizieren Infrastrukturen mit- und untereinander? Wie also verändert sich unsere Umgebung bzw. besser: unsere Umgebungen? Zu unterscheiden sind hier öffentliche Infrastrukturen und private, aber auch ganz persönliche, wie das eigene Zuhause. Alle haben gemeinsam, dass sie digitaler, smarter werden. Ein Auslöser hierfür ist die rasante Entwicklung der Konnektivität unterschiedlicher alltäglicher Aspekte. Sie macht immersive und smarte Umgebungen erforderlich.
Damit beschäftigt sich die Trendlinie „Smart Surroundings“.
Siedlungsstrukturen verändern sich. Wo es vor einiger Zeit noch klare Push- und Pull-Effekte hinsichtlich der Wohnortauswahl gab, scheinen sich diese derzeit zu vermischen. Die Arbeitswelt erfordert keine 100-Prozent-Präsenz im Büro mehr, Lieferservices und On-Demand-Systeme bringen Güter und Mobilität inzwischen auch in städtische Randlagen. Ein neues Nachhaltigkeitsbewusstsein und der Drang nach mehr Individualisierung verstärken die Ortsveränderung bestimmter Milieu-Gruppen in ländlicheren suburbanen Gegenden. Dieser Zuzug macht solche Gebiete attraktiv für neue Geschäftsmodelle wie Pop-up-Cafés, Ausstellungen und Kulturangebote. Der klassische städtische Aufbau wird so mehr und mehr infrage gestellt und aktiv verändert.
Waren Bürgersteige bis vor einiger Zeit noch ausschließlich Fußgänger*innen vorbehalten, so entwickeln sie sich heute zu einer umkämpften Fläche im öffentlichen Raum. Der zunehmende Radverkehr und die damit einhergehende wachsende oder neu entstehende Infrastruktur erhöhen zusätzlich die Komplexität. Die traditionelle Nutzung von urbanen Bordsteinflächen durch Fußgänger*innen, Radfahrer*innen, Taxis, Lieferverkehre und Busse konkurrieren nun zusätzlich mit neuen Logistik- und Mobilitätsangeboten (z. B. Ridesharing-, Same-Day-Delivery- und Mikromobilitätsangebote). Der bisher statische Bürgersteig wird so zu einem dynamischen Knotenpunkt im städtischen Verkehrssystem. Durch die Datenerfassung zur Nutzung, Belegung und Anfahrt bestimmter Punkte und einem daraus resultierenden dynamischen Bordsteinmanagement soll die Infrastruktur in Zukunft effizienter genutzt und entlastet werden.
Die Geschichte der Arbeit zeigt stetige Veränderungen. Berufsbilder sterben aus, verändern sich oder entstehen völlig neu. Ein häufiger Grund für veränderte Berufsbilder und neue Berufszweige: neue Technologien. Straßenlaternen werden nicht mehr händisch gelöscht, aber es bedarf eines Elektrikers, um diese erstmalig in Betrieb zu nehmen und zu warten – ein einfaches Beispiel für diese Entwicklung. Bis heute gilt: Neue Technologien führen zu einer Disruption bestehender Berufsbilder, und zwar nicht nur der Tätigkeit als solche, sondern auch in der Art und Weise, wie sie ausgeübt wird. Autonome Systeme, Virtual Reality und 3D-Druck führen zu starken Veränderungen im Arbeitsalltag – genauso, wie während der Coronapandemie virtuelle Meetings den Büro-Alltag nachhaltig verändert haben.
Gemeinsames kreatives Arbeiten führt zu neuen Lösungen und neuen Ansätzen für künftige Herausforderungen. Sind diese Lösungen wirtschaftlich erfolgreich, spricht man von einer Innovation. Bisher entstanden solche Ansätze in Kreativworkshops – also dort, wo man sich getroffen und gemeinsam an dem Problem gearbeitet hat. In Anbetracht der Geschwindigkeit, in der zukünftige Herausforderungen auf uns zukommen, scheinen diese Prozesse nicht mehr auszureichen. Ortsunabhängig und unternehmensübergreifend – so sehen heutige und künftige Innovationsökosysteme aus. Digitale Plattformen zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit haben das Potenzial, Innovationszyklen zu beschleunigen und ganze Branchen voranzutreiben.
Optimierung, Machine Learning und Simulationen sind Anwendungen, bei denen Quantenrechner ihre Vorteile im Vergleich zu klassischen Digitalrechnern ausspielen können. Solche Anwendungen werden heute vor allem in der Finanzbranche genutzt. Kaum weniger Potenzial haben die neuen Rechner aber auch im Verkehrssektor, etwa bei Routen- und Geschwindigkeitsoptimierungen im Straßenverkehr und in der Seeschifffahrt, bei der Entwicklung neuer Batterien für Elektroautos, in der Logistik und in der Luftfahrt. Den Durchbruch in der Technologie der Quantenrechner, also wenn eine „Rechenleistung“ von 1.000 Qubits erreicht wird, erwarten Expert*innen in den nächsten drei bis fünf Jahren.
Mehr und mehr Geschäftsmodelle setzen auf das Sourcing und die Nutzung von Daten. Denn mit jeder neuen Technologie und jedem neuen vernetzten Gadget erzeugen wir immer mehr Daten, die noch mehr Informationen über unseren Alltag, unsere Vorlieben, aber auch über unser Mobilitätsverhalten preisgeben. Sind solche Daten verfügbar, sind sie Basis und Voraussetzung für neue Entwicklungen und Optimierungen. Werden sie gar mit künstlicher Intelligenz untermauert, um neue Muster abzuleiten, können aus „Open Data“ „Smart Data“ werden.
Die Stadt der Zukunft ist intelligent – doch was heißt das? Durch neue Informations- und Kommunikationstechnologien werden Cities smart. Waren- und Verkehrsflüsse, Energieverbrauch, Auslastungen und Nutzungsverhalten werden gemessen, gesteuert und optimiert. Die Smart City ist nicht nur intelligent, sondern nachhaltig und lebenswert.
Location-based-Services sind Angebote, die einem Individuum aufgrund seiner geographischen Position gemacht werden. Bei genauerer Betrachtung stecken darin große Potentiale, ganz besonders gilt dies im Mobilitätsumfeld. Warum? Fahrgäst*innen können von neuen personalisierten Dienstleistungen entlang ihrer Route profitieren. Aus Wartezeit wird sinnvoll genutzte Zeit oder gar ein Erlebnis. Die Angebote erhalten Nutzende dabei in Echtzeit. Aus Mobilität wird so mehr als ein einfacher Ortswechsel.
Bisher setzte die Branche auf Diversifikation. Jeder Verkehrsverbund bietet eine eigene App für den Ticketkauf an. Jeder Mikromobilitätsanbieter und jede Autovermietung haben eine eigene App. In anderen Lebensbereichen ist es ähnlich. Netflix bietet Serien on Demand, Lieferando bringt auf Bestellung das Essen nach Hause. Andere Anbieter gehen innovativere Wege. Integrierende Plattformen haben einen weitaus höheren Mehrwert und bieten neben dem Einkauf von Alltagsprodukten gleichzeitig Streamingdienste an. Genau dieser Ansatz lässt sich auf die Welt der Mobilität übertragen: eine allumfassende Plattform für Tickets, Logistik- und andere Mobilitätslösungen. Das kann die Mobilität der Zukunft signifikant prägen.
Erfahrungen prägen künftige Entscheidungen – auch unterbewusst. Deswegen zählt „User Experience“ zu den wichtigsten Handlungsfeldern bei der Entwicklung von Apps und digitalen Produkten. Dies gilt auch für die Mobilität. Mit dem Auto werden oftmals positive Attribute wie „hochwertig“ oder „flexibel“ in Verbindung gebracht. Auch für den ÖPNV muss eine positive User Experience geschaffen werden, denn die Etablierung einer besonderen User Experience in der Durchführung von Mobilitätsketten ist ein Schlüssel, um die Verkehrswende zu gestalten.
Als ein Instrument der betrieblichen Mobilität beschreiben Mobilitätsbudgets ein komplexes und interdisziplinäres Feld auf dem Weg zur multimodalen und nachhaltigen Mobilität. Es geht dabei um die Bereitstellung eines Kontingents für die Mobilität von Beschäftigten. Das Budget kann von den Beschäftigten entsprechend den eigenen Bedürfnissen und Vorlieben für einen oder mehrere Verkehrsträger verwendet werden. Klassische Dienstwagen sollen so wegfallen, Kosten auf Arbeitgeberseite gespart und gleichzeitig Vorteile auf Beschäftigtenseite gewonnen werden. Die Herausforderungen dabei: die Wahl der richtigen Buchungsplattform, ein attraktives Angebot an Verkehrsträgern, eine genaue Abrechnung und eine funktionierende Zusammenarbeit unterschiedlicher Partner.
Mobilitätsstationen oder Mobility Hubs verknüpfen verschiedene Mobilitätsangebote an einem Standort. Ihre Ziele: Multimodales Verkehrsverhalten fördern, umweltverträgliche Transportmittel stärken und eine Mobilität ohne eigenen Pkw ermöglichen. Die ersten Mobilitätsstationen wurden 2003 unter dem Namen „mobil.punkte“ in Bremen eröffnet. Seitdem entstehen solche Stationen nicht nur in Großstädten wie Hamburg, Leipzig oder München, sondern auch in mittleren und kleineren Städten. Die Größe der Station, das Design und das konkrete Mobilitätsangebot variieren je nach Standort und lokalem Mobilitätsbedarf. Typische Angebote an Mobilitätsstationen sind Car- und Bikesharing, sichere und wettergeschützte Radabstellbügel, eine Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge sowie die unmittelbare Nähe zu einer Haltestelle des öffentlichen Personennahverkehrs. Auch Schließfächer, Paketstationen oder Umkleidekabinen zum Kleidungswechsel können integriert sein. Zu finden sind Mobilitätsstationen an großen ÖPNV-Knotenpunkten oder in Wohnquartieren.
Der Alltag bestimmt die Notwendigkeit von Ortsveränderungen. Lebensumstände, Ansichten und Umfeld bestimmen ebenfalls die Verkehrsmittelwahl. Auch wenn diese Entwicklungen als schleichende Prozesse empfunden werden, sind diese faktisch aktuell. Gesellschaftliche Veränderungen in Verbindung mit neuen Routinen, Siedlungsstrukturen, einem neuen Energiemix und neuen Fahrzeugkonzepten ändern signifikant die gesellschaftliche und individuelle Mobilität. Die Folge ist ein stark individualisierter und heterogener Mobilitätsbedarf eines jeden einzelnen. Heutige Herangehensweisen und Konzepte sind dann womöglich nicht mehr trag- oder wettbewerbsfähig. Neue Lösungen für die Gestaltung der individuellen Mobilität unter Einbeziehung der Anforderungen und Bedürfnisse der Fahrgäst*innen werden unabdingbar.
Jede Ortsveränderung ist einzigartig. Von dem zugrundeliegenden Bedürfnis über die Gestaltung der Reisekette bis hin zur Person, die diese Ortsveränderung vollzieht. Damit gehen unterschiedliche Anforderungen an die Reisekette einher. Bei der Entscheidungsfindung müssen viele Faktoren analysiert und einbezogen werden: Art und Weise der Informationsbeschaffung, infrage kommende Verkehrsmittel, Abfahrtszeiten und Reisedauer. Aktuelle Tendenzen weisen darauf hin, dass zukünftige Reiseketten von einer höheren Variantenvielfalt geprägt sein werden. Um Kund*innen das bestmögliche Produkt anbieten zu können, scheint das Angebot einer individuellen Reisebegleitung sinnvoll. Darunter versteht sich ein System, dass auf die individuellen Kundenbedürfnisse angepasste Angebote heraussucht und bei der Buchung unterstützt.
Durch politische Vorgaben, technologische Weiterentwicklungen und gesellschaftlichen Druck hat in den letzten zehn Jahren der Einsatz alternativer Antriebstechnologien branchenübergreifend stark zugenommen. Die heutige Zeit ist geprägt von einer Vielzahl an Antriebssystemen: Bestehende Systeme werden optimiert, unterschiedliche Antriebstechnologien werden kombiniert und neue Antriebsarten entwickelt. Daraus ergeben sich für die unterschiedlichen Verkehrsträger unterschiedliche Potenziale.
Fossile Kraftstoffe sind begrenzt verfügbar und bringen bei ihrer Gewinnung und Nutzung Umweltprobleme einher. Die Entwicklung ökologisch verträglicher Alternativen ist deshalb sinnvoll, viele haben schon jetzt einen hohen Reifegrad. Vielversprechend sind etwa synthetische Kraftstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen (z. B. Algen) und Kraftstoffe, die aus industriellen Abgasen oder aus dem CO² der Umgebungsluft hergestellt werden. Da bei der Herstellung in den meisten Prozessen CO² zu neuen langkettigen Kohlenwasserstoffen gebunden werden, wird bei der Verwendung (z. B. durch Verbrennung) kein neues CO² ausgestoßen, sondern lediglich das zuvor gebundene CO² wieder freigegeben. Ausdiesem Grund wird dem Einsatz solcher Kraftstoffe eine bessere Klimabilanz zugesprochen. Dennoch entstehen bei der Verwendung lokale Emissionen, die neben CO² auch Stickoxide (NOx) und Rußpartikel (PM) enthalten.